Erste landesweite Veranstaltung „Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt“ stößt auf große Resonanz

Vor welchen Herausforderungen stehen zugewanderte Frauen bei der beruflichen Integration in Deutschland? Welche Schritte sind am Anfang wichtig und was können Unternehmen zum Gelingen beitragen und so selbst vom Fachkräftepotential von Frauen mit Migrationshintergrund profitieren? Darauf gab die erste zentrale, landesweite Veranstaltung „Integration von Migrantinnen in den Arbeitsmarkt“ am 22. November 2024 im Look21 in Stuttgart Antworten.

Die Tagung war eine Initiative des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus und wandte sich an Frauen mit Migrationsgeschichte* und Migrationshintergrund**. Sie erhielten einen umfassenden Überblick über bestehende Unterstützungsangebote, konnten sich über Arbeitsmarktchancen informieren und direkt mit Unternehmen in Kontakt treten.

Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, sagte im Vorfeld: „Unser Ziel ist, dass noch mehr Frauen mit Migrationserfahrung und Arbeitswunsch in Beschäftigung kommen. Wichtig dafür sind zielgruppenspezifische Beratungs- und Bildungsangebote, die Anerkennung von beruflichen Abschlüssen und auch der Zugang zu bedarfsgerechter Kinderbetreuung. Unsere Unternehmen suchen in vielen Branchen händeringend Fachkräfte.“

Viele Migrantinnen bringen wertvolle fachliche und interkulturelle Kompetenzen mit, die die baden-württembergische Wirtschaft dringend benötigt und auf die unsere international orientierte Wirtschaft nicht verzichten kann.
(Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Wirtschaftsministerin Baden-Württemberg)

Dr. Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im Wirtschaftsministerium, verdeutlichte anhand konkreter Zahlen das große Potential für die hiesigen Unternehmen. Denn die Erwerbstätigenquote von Frauen mit eigener Migrationserfahrung* lag in Baden-Württemberg 2023 mit 67 Prozent noch deutlich unter der von Frauen ohne eigene Migrationserfahrung (80,9 Prozent) und Frauen ganz ohne Migrationshintergrund (88 Prozent). Gleichzeitig hätten nach aktuellen Untersuchungen 36,8 Prozent der nicht erwerbstätigen zugewanderten Frauen einen Arbeitswunsch. Diese Frauen beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterstützen sei laut Buschmann nicht nur für baden-württembergische Unternehmen und deren Fachkräftebedarf wichtig: „Die Beteiligung am Arbeitsmarkt ermöglicht den Frauen einen aktiven Beitrag zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Dies steigert gleichzeitig ihr Selbstwertgefühl. Außerdem leistet Erwerbstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Integration –  nicht nur der Frauen, sondern auch ihrer Kinder.“ Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2020 zeige deutlich, dass erwerbstätige Mütter mit Migrationshintergrund wichtige Vorbilder für ihre Kinder sind, so Buschmann.

Migrantinnen stünden dabei vor vielen besonderen Herausforderungen, erklärte Buschmann:

  • aufenthaltsrechtliche Fragen
  • Anerkennung der Qualifikationen
  • fehlende Netzwerke und berufliche Kontakte
  • Erwerb von Sprachkenntnissen und kulturelle Unterschiede
  • Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Deshalb sei es wichtig, das Ankommen, die Orientierung in der Arbeitswelt, die berufliche Integration und Entwicklung von Frauen mit Migrationsgeschichte zu fördern und auszubauen.

 

Die Integration und Erschließung des Fachkräftepotenzials von Frauen mit Migrationsgeschichte sind in unser aller Interesse. Sie bereichert unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Vielfalt steigert die Innovationsfähigkeit und fördert den Wandel der Unternehmenskultur.

(Dr. Birgit Buschmann, Leiterin Referat Wirtschaft und Gleichstellung im Wirtschaftsministerium)

Ein wichtiges Instrument für das Empowerment von Frauen mit Migrationsgeschichte sei das vom Wirtschaftsministerium 2017 ins Leben gerufene Mentorinnen-Programm für Migrantinnen, das von den neun Kontaktstellen Frau und Beruf umgesetzt wird. Eine erfahrene Mentorin unterstützt eine Mentee mit Migrationsgeschichte über einen Zeitraum von rund acht Monaten bei der beruflichen Entwicklung, gibt Tipps für die Arbeitssuche, macht sie mit ihren Netzwerken bekannt und gibt Einblicke in ihre eigene Erwerbstätigkeit.

So gelingt die Integration in den Arbeitsmarkt

Sarah Pierenkemper, Senior Referentin für Fachkräftesicherung am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (KOFA) , machte den Frauen in ihrem Impulsvortrag – trotz aller Herausforderungen – Mut und wies auf die Perspektiven für Migrantinnen am deutschen Arbeitsmarkt insgesamt hin. Denn 2023 gab es deutschlandweit 570.000 offene Stellen für Fachkräfte, die nicht besetzt werden konnten. Der Bedarf an Fachkräften sei dabei über alle Qualifikationsstufen hinweg sehr hoch, am höchsten aber bei Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Hinsichtlich der Branchen gebe es die größten Engpässe im Bereich Kindererziehung, Soziales und Pflege sowie der Bauelektrik. Für Pierenkemper sprechen diese Zahlen eine klare Sprache: „Um diese Lücke zu schließen, müssen Wirtschaft und Gesellschaft zwingend an allen Stellschrauben drehen und Menschen über alle Qualifikationsstufen hinweg ansprechen. Wir sind auf alle Potentiale angewiesen, vor allem auch das der zugewanderten Migrantinnen“, sagte Pierenkemper.

Anschließend ging Pierenkemper darauf ein, wie die Integration in den Arbeitsmarkt ganz konkret gelingen kann:

 

Das können Migrantinnen tun

Sprachkenntnisse verbessern:

  • Teilnahme an Sprachkursen und berufsspezifischen Sprachtrainings
  • Regelmäßige Nutzung der Sprache im Alltag und im Berufsleben

Anerkennung von Qualifikationen und Fortbildungen:

  • Anerkennung ausländischer Abschlüsse vorantreiben
  • Weiterbildungen oder Umschulungen nutzen, um sich für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren

Aktive Netzwerkbildung:

  • Teilnahme an Veranstaltungen, Jobmessen und Workshops
  • Anschluss an bestehende Migrantinnen-Netzwerke oder berufliche Gruppen in der Region

Nutzung von Mentoring-Programmen:

  • Mentorinnen und Mentoren suchen
  • Unterstützung bei der Karriereplanung und Weiterentwicklung einholen

Vorbilder finden:

  • Kontakt mit anderen erfolgreichen Migrantinnen aufnehmen und von deren Erfahrungen lernen
  • Eigene Stärken und Fähigkeiten erkennen und selbstbewusst präsentieren

 

Nutzen Sie jede Unterstützung, die Sie kriegen können. Das Netzwerk kann nicht groß genug sein.

(Sarah Pierenkemper, Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln)

Das können Unternehmen tun

Netzwerkplattformen schaffen:

  • Veranstaltungen, Workshops und Mentoring-Programme, die die Vernetzung von Frauen mit Migrationshintergrund fördern.

Flexible Arbeitsmodelle:

  • Förderung von Teilzeit- und Remote-Arbeitsmodellen, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern

Anpassung von Rekrutierungsprozessen:

  • Keine Diskriminierung aufgrund von Sprache oder Herkunft, sondern Fokus auf Kompetenzen.

Sprachförderung und Weiterbildungen:

  • Unterstützung bei der beruflichen Weiterbildung und Sprachkurse für den Arbeitsalltag

Unterstützung im Onboarding:

  • Hilfe bei der Wohnungssuche oder Kinderbetreuung anbieten und nachhaltige Einarbeitung leisten, weil zum Beispiel in vielen anderen Kulturen das Arbeitsumfeld stärker mit dem privaten Umfeld vermischt sei als in Deutschland.

Das KOFA bietet Unternehmen eine praktische Checkliste zu einem nachhaltigen Onboarding

Persönliche Erfolgsgeschichten und Best Practices aus Unternehmen

In der folgenden Podiumsdiskussion berichteten mit Anna Markgraf und Corina Comsa – zwei Frauen mit Migrationserfahrung – auf berührende Weise davon, wie sie ihren beruflichen Weg in Deutschland erfolgreich gegangen sind, mit allen Höhen und Tiefen. Wichtige Stütze war dabei auch das Mentorinnen-Programm für Migrantinnen. Anna Markgraf, die in Polen Jura und BWL studiert hatte und in leitender Position im Personalbereich tätig war und auch heute wieder ist, kam 2013 der Liebe wegen nach Deutschland. Sie empfand die fehlenden Deutschkenntnisse als größte Hürde und stand sich mit ihrem Perfektionismus oft selbst im Weg. Doch ihre Mentorin gab ihr einen Impuls mit auf den Weg, aus dem Markgraf bis heute viel Kraft schöpft und mit dem sie anderen Migrantinnen Mut machte, ihre berufliche Reise heute zu beginnen und nicht auf morgen zu warten: „Du bist gut genug, so wie Du bist!“

 

Du bist gut genug, so wie Du bist!

(Anna Markgraf, ehemalige Mentee zitierte ihre Mentorin)

Auch Corina Comsa, Juristin aus Rumänien und heute Beraterin in der Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken, appellierte an die Frauen, sich nicht von ihren Männern abhängig zu machen und sich auch von den Hürden des Spracherwerbs nicht unterkriegen zu lassen: „Sprechen Sie Deutsch! Sprechen Sie mit Fehlern, mit Lücken. Üben Sie sich darin – trauen Sie sich!“ Die Männer rief sie auf, ihre Frauen zu unterstützen. Helfen könne auch, sich kleine erreichbare Ziele für den Berufseinstieg zu setzen. So behalte man ein Gefühl der Kontrolle. Und wenn es mal nicht rund laufe, helfe zur Not auch eine Schachtel Pralinen, verriet Comsa ihren Geheimtipp.

Lisa Schaber, Beraterin in der Kontaktstelle Frau und Beruf Neckar-Alb, bestärkte Frauen mit Migrationsgeschichte, dem Weg zu vertrauen, auch wenn man hin und wieder auf der Stelle zu treten scheine. Nach der Zuwanderung sei es wichtig, die neue Lebenssituation anzuerkennen. Die Frauen sollten sich nicht unter Druck setzen, sondern sich einen individuellen Plan zurechtzulegen, wohin sie beruflich möchten und wie sie dahin kommen. Wichtig sei auch, sich ein soziales Netzwerk außerhalb der eigenen kulturellen Community zu schaffen sowie ein Netzwerk, in dem man sich Informationen und Hilfestellungen rund um das praktische Leben im neuen Heimatland suchen könne. Gerade für letzteres seien laut Schaber die Kontaktstellen eine optimale Erstanlaufstelle.

Für Mentorin Anja Hasler ist auch das Mentorinnen-Programm ein gutes Beispiel dafür, wie wirksam und bestärkend Informationen und praktische Hilfestellungen sein können. Hasler erlebe dadurch starke, mutige und zuversichtliche Mentees, die es „schaffen“ wollen, die lernen und sich entwickeln wollen.

Im Anschluss hatten die rund 250 Gäste die Gelegenheit, auf dem „Markt der Möglichkeiten“ Kontakte zu knüpfen und sich an insgesamt 23 Infoständen von Unternehmen, Organisationen und Projekten zu informieren. Bei Unternehmen wie Klinikum Stuttgart, Zeiss, MVV Energie, Bechtle, Robert Bosch, TÜV SÜD oder Lapp konnten sie direkt mit Verantwortlichen der Unternehmen ins Gespräch kommen. Parallel stellten weitere Organisationen, Projekte und Unternehmen ihre Programme und Angebote für Migrantinnen in Kurzpräsentationen vor.

 

Hintergründe zum Mentorinnen-Programm für Migrantinnen

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*Migrationsgeschichte/Migrationserfahrung: Personen, die im Ausland geboren und nach Deutschland zugewandert sind
** Migrationshintergrund: Personen, die in Deutschland geboren sind, bei denen aber mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt hat. Diese Personen haben einen Migrationshintergrund, aber keine eigene Migrationserfahrung (oftmals auch als 2. Generation bezeichnet)